Ich habe die große Ehre heute die 5. Mittelstandskonferenz hier in Jieyang zu eröffnen. Der Standort – insbesondere die Metal Eco City – hat sich in den letzten Jahren zu einem beachtlichen europäisch-chinesischen Kooperationsprojekt entwickelt. Lag der Fokus Anfangs primär auf der Zusammenarbeit mit Deutschland, hat sich der Blick im Laufe der Jahre erweitert. Ich freue mich, heute hier Vertreter aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Spanien und Tschechien begrüßen zu dürfen. Das spiegelt auch die gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen wider: Europa und China nähern sich ständig weiter an.
Ich wurde gebeten, heute eine Rede über die europäisch-chinesische Zusammenarbeit zu halten. Als Vertreter der deutschen Wirtschaft starte ich zunächst mit einem Blick auf Deutschland – um den Fokus dann auf Europa zu erweitern:
Schlagzeilen der deutschen Medien, wie:
Der Ausverkauf der deutschen Wirtschaft ... Technologieklau durch chinesische Unternehmen ... Verlieren die Hidden Champions ihre Innovationskraft an China?
drückten noch vor einem Jahr die Sorge vieler um den Ausverkauf der deutschen Wirtschaft aus. Die Sorge, dass zu viele wichtige Firmen in chinesischer Hand liegen, trieb Politiker wie Unternehmer in Deutschland um. Die Angst, dass sich „die Chinesen“ das Know-how aneignen und die Unternehmen dann aussaugen, ließ sich in der öffentlichen Meinung nur schwer wegdiskutieren. Die Bedenken existierten.
Ich habe diese Bedenken nie geteilt – ganz im Gegenteil. Inzwischen zeichnen auch die Zahlen ein anderes Bild: In Deutschland gab es in diesem Jahr keine einzige größere Übernahme mehr, chinesische Unternehmen investierten laut einer Studie der Unternehmensberatung EY gerade einmal 505 Millionen Dollar in elf Firmen der Bundesrepublik. Zum Vergleich: 2018 waren es insgesamt noch mehr als zehn Milliarden Dollar.
Der deutliche Rückgang wird auch in der Bundesregierung registriert. Die Frage liegt nahe: Hat die deutsche Politik mit Gesetzesverschärfungen selbst dazu beigetragen?
Die Expansion chinesischer Unternehmen ist insgesamt in Europa deutlich schwächer geworden. Im ersten Halbjahr 2019 haben Unternehmen aus der Volksrepublik laut EY nur noch 2,4 Milliarden Dollar für Firmenkäufe und -Beteiligungen in Europa ausgegeben. Das ist ein Rückgang um 84 Prozent im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2018. Die Ursache liegt nach meiner Überzeugung in der allgemeinen Verschärfung der Welthandelsbedingungen.
Handelskonflikt zwischen China und USA
Die Schlagzeilen der Medien sind heute von anderen Themen beherrscht: Der Handelskonflikt zwischen China und USA überschattet inzwischen alle wirtschaftlichen Aktivitäten – auch in Europa. Die USA überziehen China mit Strafzöllen, den Europäern drohen sie mit Abgaben auf Autos. Die Welt ist aus den Fugen geraten. USA und China scheinen von Europa aus gesehen weit entfernt. Doch in einer globalisierten Welt spielen Flugkilometer keine Rolle. Die Produktionsketten sind längst international und verwoben.
Auch Deutschland als exportorientiertes Land leidet unter diesem Konflikt. Um 1,3 Prozent sind die Ausfuhren im zweiten Quartal dieses Jahres gesunken. Im Vorjahresvergleich verbuchte die Wirtschaft mit einem Minus von 0,8 Prozent sogar den stärksten Rückgang seit sechs Jahren. Der Einbruch ist wenig überraschend, der Welthandel ist ins Stocken geraten. Deutschland als Exportnation setzt das ganz besonders zu.
Als Vertreter der deutschen Wirtschaft begrüße ich jedoch sehr, dass Deutschland weiterhin mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner ist. Wichtigster deutscher Handelspartner – Exporte und Importe zusammengenommen – blieb 2018 das dritte Jahr in Folge China: Waren im Wert von fast 200 Milliarden Euro wurden zwischen beiden Nationen ausgetauscht.
Mehr als 8.000 deutsche Unternehmen mit über 30.000 deutschen Experten sind in China aktiv, rund 3.000 chinesische Unternehmen sind in Deutschland tätig – beeindruckende Zahlen. Dieses Engagement wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken und ich sage sogar, es muss sich weiter verstärken.
Die zwölfte China-Reise von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Anfang September war in dieser Hinsicht ein eindeutiges Signal: In Peking haben deutsche Unternehmenschefs mit chinesischen Firmen insgesamt elf Kooperationsabkommen unterzeichnet. Die Vereinbarungen reichen von der Luftfahrttechnik, Schifffahrt, Energie, Elektromobilität, Finanzierung, Versicherung bis hin zum vernetzten Fahren und der Vermeidung und Verwertung von Müll.
Unter anderem unterschrieb der Siemens-Konzern eine Absichtserklärung mit der State Power Investment Corporation Limited (SPIC) zur Kooperation bei Gasturbinen.
Die Allianz-Versicherung unterzeichnete eine strategische Vereinbarung mit der Bank of China über Vertiefung der Kooperation im Finanz- und Versicherungsbereich.
Und die Deutsche-Post-Tochter Streetscooter unterzeichnete mit dem chinesischen Automobilhersteller Chery Holding eine Absichtserklärung zur Produktion sowie Entwicklung eines elektrischen Nutzfahrzeugs für die letzte Meile im Verteilerverkehr.
Europäisch-chinesische Zusammenarbeit
In einer Welt der stark verflochtenen internationalen Beziehungen, erhalten Kooperationskonferenzen wie diese hier heute in Jieyang besondere Bedeutung. Europäische Vertreter aus Wirtschaft und Politik – aus Deutschland, Österreich, Tschechien, Spanien und Frankreich – kommen für zwei Tage mit chinesischen Regierungsvertretern und Unternehmern zusammen. Sie wollen Gespräche führen und gemeinsam erfolgreiche Wirtschaftsbeziehungen aufbauen, sie intensivieren und – auch neu definieren.
Das ist ein klares Bekenntnis zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Europa und China. Ich bin überzeugt, dass Kooperationen zwischen europäischen und chinesischen Unternehmen in Zukunft weiterhin große Erfolgschancen haben.
Dialog und gleichberechtigter Marktzugang
Der Konflikt mit den USA in Handelsfragen bringt Europäer und Chinesen einander näher. Beim EU-China-Gipfel im April dieses Jahres haben die Europäische Union und China in Handelsfragen weitere Fortschritte erzielt. Die EU und China haben auf dem 21. Gipfeltreffen EU-China vereinbart, ihre strategische Partnerschaft weiter auszubauen.
Die Führungsspitzen äußerten gemeinsam ihr großes Interesse für den Multilateralismus und einen regelbasierten Handel. Sie bekräftigten ihr gemeinsames Engagement für eine Reform der Welthandelsorganisation. Sie vereinbarten die Fortsetzung der Zusammenarbeit beim Thema Industriesubventionen und werden bis zum nächsten Gipfel eine neue Agenda für die Zusammenarbeit nach 2020 verabschieden.
Es ist wichtig, dass die Wirtschaftsbeziehungen auf Offenheit, Nichtdiskriminierung und fairem Wettbewerb basieren. Beide Seiten bekräftigten ihre Bereitschaft, gegenseitig einen größeren und leichteren sowie nicht diskriminierenden Marktzugang sicher zu stellen. Beide Seiten suchen den Dialog und Wege der intensiveren Zusammenarbeit.
Einer weiteren Marktöffnung Chinas kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Im März dieses Jahres hat der Nationale Volkskongress der Volksrepublik China das Gesetz über ausländische Investitionen – Foreign Investment Law (FIL) verabschiedet. Das neue Gesetz wird am 01. Januar 2020 in Kraft treten.
Es wird den chinesischen Markt für ausländische Investoren attraktiver machen und diesen transparenter gestalten, so dass in- und ausländische Unternehmen einheitlichen Regeln unterliegen und unter gleichen Wettbewerbsbedingungen miteinander konkurrieren können.
Damit wird endlich ein Gleichbehandlungsgrundsatz – ausländische Unternehmen werden wie inländische behandelt – festgeschrieben.
Eine Forderung, die ich in den letzten Jahren in all meinen Ansprachen hier bei den Mittelstandskonferenzen formuliert habe. All das bietet große Chancen für eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit – die Partnerschaft zwischen Europa und China erhält damit neue Impulse für eine dynamische Weiterentwicklung.
Sehr erfreulich ist auch, dass die Zölle für Automobile erlassen werden und China die Vorgaben für Investitionen ausländischer Konzerne im Finanzbereich weiter gelockert hat.
Chancen und Herausforderung – die Seidenstraße-Initiative
Ein bedeutendes Vorhaben ist auch die vieldiskutierte Seidenstraßen-Initiative – die Dimensionen sind gewaltig: Mit einem Volumen von rund einer Billion Dollar will Staatspräsident Xi Jinping Asien und Europa zusammenbringen – über Straßen, Zugverbindungen, Häfen und Flughäfen. Die 2013 von China ins Leben gerufene Belt and Road Initiative (BRI) hat inzwischen bereits weltweite Dimensionen angenommen.
Dabei steht "Belt" für die Handelsrouten, über die China via Zentralasien und dem Nahen Osten mit Europa historisch verbunden war. "Road" symbolisiert den Seeweg, der von China aus über Südostasien, Südasien, Afrika sowie schließlich durch den Suezkanal bis in die Adria verläuft.
Zahlreiche Länder haben inzwischen bereits Kooperationsverträge unterzeichnet. Stand April 2019 waren dies laut chinesischem Außenministerium 125 Länder sowie 29 internationale Organisationen. Darunter sind auch Mitglieder der Europäischen Union (EU): Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Portugal, Polen, Slowakei, Slowenien, Ungarn, Malta sowie die drei baltischen Staaten. Die beteiligten Länder repräsentieren zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Die Seidenstraßen-Initiative könnte den Welthandel revolutionieren. Milliardensummen wecken Hoffnungen auf Aufträge und Wachstum. Das finanzpolitische Engagement der Bundesregierung trägt der Bedeutung Rechnung.
China wünscht eine Beteiligung der gesamten EU am Projekt der „Neuen Seidenstraße“. Die EU-Staaten kritisieren jedoch teilweise die chinesischen Vorgaben für derartige Beteiligungen. Sie befürchten, die chinesische Regierung wolle mit dem Plan die internationalen Beziehungen und die Globalisierung nach ihren Vorstellungen gestalten – und viele der beteiligten Länder durch Finanzierungen von China abhängig machen. Die Angst ist, europäische Firmen könnten bei vielen interessanten Aufträgen nicht beteiligt sein, wenn es nicht gelinge, China auf international anerkannte Standards zu verpflichten. Die Mitwirkung nichtchinesischer Firmen hielt sich - von Ausnahmen abgesehen - bisher tatsächlich in Grenzen.
Entsprechend ist beiBei vielen nichtchinesischen Unternehmen zumindest ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. So hatten bei einer Umfrage des Verbands Deutscher Maschinen und Anlagenbau (VDMA) unter seinen in China tätigen deutschen Mitgliedsfirmen 2018 noch 49 Prozent angegeben, sie profitierten direkt oder indirekt von der Seidenstraßeninitiative oder sähen zumindest die Möglichkeit hierfür. Im April 2019 war diese Quote auf 30 Prozent geschrumpft.
Die EU versucht deshalb, Peking bei den Infrastrukturprojekten auf die europäischen Standards einzuschwören, etwa für transparente Auftragsvergaben oder bei Umweltauflagen. Ich bin sicher, dass wir nur gemeinsam Lösungen finden und vertraue auf die Worte von Staatspräsident Xi Jinping – der beim letzten Seidenstraßenforum zusagte, die Projekte sollten „offen, sauber und grün“ sein. Er versprach, China werde seine Zusagen und Verpflichtung einhalten; es werde den Schutz des geistigen Eigentums verstärken, Handelsmarken wie Geschäftsgeheimnisse schützen und Ideendiebstahl bekämpfen; zudem wolle China den Marktzugang erweitern und die Negativlisten drastisch kürzen, die Zölle weiter senken und seine Einfuhren massiv erhöhen; und nicht zuletzt sollen die privaten Unternehmen wieder stärker in das Großprojekt eingebunden werden. Ich kann als überzeugter Vertreter einer weiter verstärkten weltweiten uneingeschränkten Welthandelspolitik diese Position nur einschränkungslos unterstützen!
Ich bin der Meinung, das Fundament einer jeden erfolgreichen Partnerschaft sind Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung – dies gilt auch für Europa und China. Ich sehe in der Öffnung Chinas nach außen und der Suche nach dem Dialog ein äußerst positives Signal, auch mit Blick auf die Seidenstraße-Initiative – dies schließt aber auch ein, dass die „Chancengleichheit für alle Investoren in der Transportinfrastruktur“ gewährleistet ist. Ich fordere alle beteiligten Staaten auf: Lassen Sie uns diese Chance für Kooperationen gemeinsam nutzen – im Dialog.
Metal Eco City
Ich spreche heute nicht nur als Vertreter der deutschen Wirtschaft zu Ihnen – sondern auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Zhongde Metal Group GmbH. Sie wurde 2015 als deutsche Tochtergesellschaft der chinesischen Zhongde Metal Group Co., Ltd. gegründet. In den vergangenen fünf Jahren hat das Team hunderte Interessenten aus der Wirtschaft und Politik nach Jieyang geführt und eine Vielzahl chinesischer Unternehmen und der deutschen Wirtschaft in Verbindung gebracht. Wir werden uns weiter bemühen mit vereinten Kräften – vor allem mit der Stadtregierung Jieyang – die Metal Eco City weiter zum Erfolg zu führen.
In diesem Sinne wünsche ich einen erfolgreichen Verlauf dieser Konferenz und uns allen viele konstruktive Gespräche sowie innovative europäisch-chinesische Vorhaben, die angestoßen werden!